Ein Beitrag zur fünften Clue Writing Challenge http://www.cluewriting.de/cwc5/
Die Vorgaben:
Setting: Garten
Clues: Trompete, Mischsalat, Wissen, Stein, Schreibtisch
Leben und leben lassen
Der Nachbarsjunge machte seiner Mutter eindrucksvoll klar, dass eine Trompete nicht in seine Hände und erst recht nicht vor seinen Mund gehörte, der vor mir ausgebreitete Mischsalat stammte aus einem einzigen, nicht nennenswerten Teil des mir anvertrauten Gartens, mir fehlte jedes Wissen über Gartengestaltung und ich wusste, ich würde keinen Stein auf dem anderen belassen, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet war, dass ich mein Vorgehen keine Sekunde an einem Schreibtisch geplant hatte.
Aber fangen wir von vorne an.
Ich wuchs unbehelligt von jeder Strapaze im Rahmen meiner nicht wenigen Geschwister auf. Wir waren, Mutter und Vater nicht mitgerechnet, zu fünft. Anders als meine Geschwister war ich nie besonders ehrgeizig. Vielmehr neigte ich zu Tagträumereien, Müßiggang und erforschte die Welt in Gedanken und – seltener – auf langen aber nicht weiten Spaziergängen.
Für jemanden mit so wenig Eigenantrieb mag es erstaunen, aber ich fand alsbald Gefallen an der Damenwelt, die diese Zuneigung zumindest teilweise erwiderte. So kam es, dass ich schon kurz nach Erreichen der Geschlechtsreife, wenn auch unfreiwillig – die Reife war recht eindimensional – die mehr oder minder Auserwählte zur Mutter machte.
Dass mit meiner bevorstehenden Vaterschaft die elterliche Behausung zu eng wurde, dürfte auf der Hand liegen und auch meine Frau sah wenig Grund und Aussicht, ihr familiäres Umfeld beizubehalten.
Kurzum, wir suchten uns ein für unseren zukünftigen Wohnsitz angemessenes Grundstück nebst Behausung, die Holde widmete sich der drohenden Niederkunft und so oblag es mir, den offensichtlich über Jahrzehnte vernachlässigten Garten zu neuem Leben zu erwecken.
Man darf nicht überrascht sein, wenn man Mutter Natur nach so langer Zeit der Verwahrlosung wieder in Ihre Schranken zu weisen gedenkt. Tiefe, verzweigte Wurzelgebilde mit Radien von einigen Metern sind zu erwarten, aber nicht planbar. Versiegelte Flächen hingegen, kann man gleich wieder aus der Planung herausnehmen, will man sich mit der Diskrepanz zwischen gesteckten Zielen und erreichtem Fortschritt bei der Gattin nicht in Misskredit begeben.
Trotz eines unerfreulich festen Lehmbodens kam ich beim Umgraben recht schnell voran. Was ich an Planungsfähigkeiten vermissen ließ, glich ich durch mich selbst erstaunendes Geschick wieder aus. So wichen mein Unmut über den Zustand meines Grundstücks und die auditive Verstörung seitens der eingangs erwähnten Nachbarschaft einem optimistischen Tatendrang.
Als mittelloser Vater wird man sehr schnell von der Priorisierung der Gattin überstimmt. Diese gilt selten der liebgewonnenen Gartenarbeit als vielmehr der Ernährung ebendieser Gattin und des gemeinsamen Nachwuchses. Da der eigene Garten dem Anspruch nicht genügen mochte, bediente ich mich bei den Nachbarn. Dies tat ich nachts, weil ich der Gefahr ablehnender Bescheide einer Bitte um Unterstützung entgehen wollte.
Es lässt sich schwerlich bestreiten, dass ich mit einer gewissen Kurzsichtigkeit ausgestattet bin. Wie sich herausstellte, kann ich jedoch auch bei schwacher Beleuchtung noch genug Umrisse erkennen, sodass ich meine „Besorgungen“ auf die Abendstunden und teils sogar die Nacht verlegen konnte.
Zu diesen Zeiten spielte der Nachbarsjunge nicht mehr Fußball und auch sonst war nur selten jemand zu sehen oder zu hören. Es gelang mir daher, trotz steigenden Bedarfs und damit zunehmender Häufigkeit, unentdeckt zu bleiben.
Bald hatte ich genug Gemüse, Salat, verschiedene Früchte und was sich an Essbarem in der Umgebung auftreiben ließ gesammelt. Mit dieser Menge, da war ich zuversichtlich, würden wir über den gesamten Winter kommen.
Die kälter werdenden Tage widmete ich dem Ausbau und der Instandsetzung unserer heimgewordenen Unterkunft. Es zeigte sich, dass einige Lagerplätze ungeschickt gewählt waren und ich musste einige Male beträchtliche Mengen unserer Vorräte aussortieren.
Am Ende reichte es nur, weil wir unsere Aktivitäten auf ein Minimum reduzierten. Das fiel mir nicht schwer und wie sich zeigte, waren auch Frau und Kinder, wir hatten deren zwei, ohne Schwierigkeiten in der Lage, weite Teile des Tages inklusive der Nacht schlafend oder wenigstens ruhend zu verbringen.
Es mag erstaunen, mich erfreute es zutiefst, dass mein Sohn keine Anstalten machte, in seiner Lebensweise der meinen nachzufolgen. Vielmehr war er ebenso aufgeweckt wie fleißig und so ist es durchaus ihm und seinem Eifer zuzurechnen, dass wir im Frühling, bei weiteren Ausbauarbeiten, auf zusätzliche Gänge und Räume stießen.
Es war einer der ersten warmen Tage des Jahres, als er spürbar aufgeregt zu mir kam und mir zu verstehen gab, ich müsse ihm unverzüglich folgen. Wie sich herausstellte war eine Wand eingefallen, die mein Sohn hatte ausbessern wollen. Dahinter war, trotz der Dunkelheit, ein Gang erkennbar. Am Luftzug konnten wir erahnen, welche Ausmaße dieser haben musste.
Es dauerte zwei volle Tage, bis wir alle Gänge abgelaufen, alle Räume inspiziert und uns den neuen Teil unserer Behausung eingeprägt hatten. Unser Raumangebot hatte sich auf einen Schlag verdoppelt.
Es mag mir nachgesehen werden, dass ich über meine Tochter nicht so ausgiebig berichten kann und will wie über meinen Sohn. Sie war nicht minder aktiv und neugierig wie er. Allerdings müssen wir die schlimmste Ursache dafür annehmen, dass sie eines Tages von einem ihrer üblichen und bis dahin verlässlich gut endenden Ausflüge nicht zurückkehrte.
Mein Sohn hingegen fand noch im Sommer unserer heimischen Entdeckung eine Frau offenbar so attraktiv, dass wir uns Gedanken über deren Unterbringung machen mussten. Wir entschieden, dass die luxuriösen Ausmaße unserer Unterkunft rechtfertigten, die junge Familie bei uns wohnen zu lassen. Den Übergang zwischen beiden Wohnanlagen ließen wir offen, stellten aber klar, dass Übertritte nur nach vorheriger Absprache erfolgen sollten.
Viel mehr ist nicht zu berichten über die wenigen Sommer, die mein Weib und ich noch erleben durften. Wie es meinem Sohn und dessen Sohn erging, mag er selbst berichten.
Und, liebe Leser*innen, wenn Sie das nächste Mal eine Wühlmaus in Ihrem garten entdecken, grüßen Sie sie von mir. Nehmen Sie sich als Menschen, mit oder ohne Trompete, nicht so wichtig. Ein Mischsalat mag für Sie nur eine Beilage darstellen, für andere ist er eine üppige Mahlzeit. Mit diesem Wissen legen Sie den Stein wieder zur Seite, setzen sich an Ihren Schreibtisch und erzählen anderen, was Sie im letzten Sommer erlebt haben.
So wie ich.